Neonaziaufmarsch in Stockholm, Versuch eines Vergleichs mit Deutschland

Der Titel ist irritierend, denn ein Vergleich ist kaum möglich und dennoch interessant. Kaum möglich ist er, weil ich gewisse Wissenslücken habe. Wie das Polizei- und Versammlungsgesetz aufgebaut ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Auch die Entwicklungen der letzten Jahre dahingehend vermag ich nicht einzuschätzen. In Gesprächen wurde mir gesagt, die Gesetzgebung wäre, besonders durch parlamentarische Aktivitäten der rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“, liberalisiert worden. Ob Dinge legal sind, konnte ich nur durch Nachfragen bei schwedischen Kollegen in Erfahrung bringen und beziehe mich dabei auf ihre Aussagen.

Dennoch ist ein Vergleich mit Neonaziaufmärschen in Deutschland durchaus interessant. Die Schlüsse, die ich daraus ziehe sind subjektiv und daher auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Was mich in Stockholm erwartete?

 Schwedische Neonazis demonstrieren gegen "Flüchtlingsinvasion" © Fabian Schumann

Schwedische Neonazis demonstrieren gegen „Flüchtlingsinvasion“ © Fabian Schumann

Mir wurde ein Neonaziaufmarsch versprochen. Aufgerufen hatte die Plattform „Nordfront“. Diese gehört zur Kleinstpartei „Nordische Widerstandsbewegung“ (Nordiska motståndsrörelsen), welche ein Zusammenschluss von neonazistischen Gruppen der skandinavischen Länder ist. Redner sollten daher aus Schweden, Norwegen und Finnland anreisen. Die Partei wurde 1997 in Schweden von Mitgliedern des „Weißen Arischen Widerstandes“ gegründet.

Anlass des Aufmarsches sollte eine vermeintliche „Invasion“ von Geflüchteten darstellen. Ziel des Demonstrationszuges war es, nach einem Marsch durch die Innenstadt, zum Parlamentsgebäude zu gelangen. Laut meinen Kontakten aus Schweden erwartete man rund 300 Teilnehmer, da die „Nordfront“ nur selten aufmarschiert.

Bekannt ist die schwedische Polizei für den Einsatz von Polizeipferden © Sören Kohlhuber

Bekannt ist die schwedische Polizei für den Einsatz von Polizeipferden © Sören Kohlhuber

Gleichzeitig war klar, dass die antifaschistischen Strukturen dies nicht ohne Gegenreaktion lassen würden. Trotz der Auflösung der Gruppe „Revolutionära Fronten“ (eine der in Deutschland bekanntesten schwedischen linken Struktur), trat die Antifaschistische Bewegung in der Vergangenheit durchweg militant auf. Teilweise kam es zu Messerstechereien im Nachgang von rechten Aufzügen, was zu längeren Haftstrafen für Antifaschisten sorgte. Auch mit dem Einsatz von Pyrotechnik als Waffe wurde gerechnet.

Die Polizeikräfte kannte ich aus Youtube-Videos. Das bekannteste zeigte eine Pferdestaffel, die in Malmö 2014 eine antifaschistische Demonstration angriff, wobei zum Teil Demonstranten niedergeritten wurden. Landesweit verfügt die schwedische Polizei über 18.000 uniformierte Einsatzkräfte,darunter bis zu 1.500 Bereitschaftsbeamte. Die Bereitschaftspolizei heißt in Schweden übrigens „Kravallpolis“.

Der Nationalsozialistische Freiraum

Schwedische Neonazis schützen ihre Demonstration mit Schilden ©Sören Kohlhuber

Schwedische Neonazis schützen ihre Demonstration mit Schilden ©Sören Kohlhuber

Ähnlich wie in Deutschland ist auch in den skandinavischen Ländern seit einigen Jahren das Thema Flucht- und Migrationsbewegung Teil der politischen Tagesordnung. Rechtspopulistische und extrem rechte Parteien sehen sich in einem Hoch. Demonstrationen, Angriffe und Anschläge, auf Migranten und Antifaschisten folgten. Meine schwedischen Kontakte berichten von einem unerwarteten Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft.

Im vergangenem Jahr kam es so u.a. in Schweden zu wenn auch wenig erfolgreichen Demonstrationen von Rechten Gruppen, die sich am Vorbild „Pegida“ orientieren.

Daran knüpfte nun nach längerer vordergründig wenig sichtbarer Zeit die „Nordfront“ mit einer Demonstration zum Parlamentsgebäude an. In Richtung des Parlaments skandierten die Teilnehmenden immer wieder „Förrädare” (Volksverräter). Andere Demonstrationssprüche und Reden konnte ich nicht übersetzen. Laut den Signalworten, die ich verstand, und Brocken, die mir meine deutsche Begleitung übersetzte, ging es offenbar um Zionisten, Sozialisten und immer mal wurde skandiert, dass der ”Arische Widerstand” marschiere.

Der Demonstrationszug baute sich in Dreierreihen auf. Im vorderen Block Fahnen und Trommler der Nordfront. Keine Seitentransparente. Vor dem Fronttransparent fünf Personen mit Plexiglasschildern und der Werbung für den Internetauftritt der Nordfront. Vereinzelt liefen an der Seite Neonazis mit ”Polizeischildern”, aber auch mit kleinen Holzschildern, auf denen der Pfeil der nordischen Neonazis abgebildet war. Laut Nachfragen bei ortskundigen Journalisten ist das Tragen solcher passiver Bewaffnung bei Demonstrationen in Schweden legal. Als die Neonazis die ersten Kameras sahen, gingen die Tücher über die Nase. Auf meine Frage an die Fotokollegen, ob dies erlaubt sei, hieß es ”sometimes”. Die Vermummung ist faktisch so lange legal, bis ein Beamter vor Ort entscheidet, dass sie illegal ist. In welchem Kontext und wieso ein Beamter das Recht so ausüben kann, konnte ich nicht genauer herausfinden.

Verstärkte Handschuhe + Vermummung = Kein Problem in Schweden © Sören Kohlhuber

Verstärkte Handschuhe + Vermummung = Kein Problem in Schweden © Sören Kohlhuber

Vereinzelt trugen Neonazis verstärkte Handschuhe, für die dieselbe Regelung gilt wie für Vermummungen. Da Winter war, konnte man anhand der Kleidung kaum Besonderheiten entdecken. Einzig ein Schal mit schwedischer Fahne und dem Totenkopf der SS darauf war noch bemerkenswert. Dazu erklärten Kollegen, dass nur das Hakenkreuz verboten sei, alle anderen Symbole des Nationalsozialismus seien legal. Süffisant stellten Journalisten aus Schweden und Dänemark fest, dass in Deutschland offenbar alles verboten sei, zum Beispiel auch Stahlkappenschuhe, die offenbar ebenfalls in Schweden legal bei Demonstrationen getragen werden dürfen.

Zur Akustik dienten den Neonazis zwei Personen mit Megaphonen. Angestimmt wurden lediglich zwei Schlachtrufe, die von den rund 500-600 Teilnehmern lauthals mitgegröhlt wurden. Erst zur Abschlusskundgebung wurde ein LKW als Lautsprecherwagen genutzt. Von einem gezimmerten Nordfront-Podium aus wurden verschiedene Reden gehalten, die unterschiedlich aufgenommen wurden, und, dank nordischer Liedermacher, ein wenig musiziert.

Ordner der Neonazis waren mit grünen Armbinden gekennzeichnet, Anti-Antifa-Aktivisten trugen Mützen mit dem Pfeil-Symbol oder gelbe Westen mit dem Aufdruck ”Nordfront-Media”. Eine weitere Besonderheit waren ein Neonazi mit dem Aufdruck „Dialog Patriot“ auf einer gelben Warnweste. Seine Aufgabe ist in Konfliktsituationen die Kommunikation mit den eingesetzten Beamten zu übernehmen.

Bei Konflikten sollen die beiden sich unterhalten © Sören Kohlhuber

Bei Konflikten sollen die beiden sich unterhalten © Sören Kohlhuber

Kurz nachdem die Neonazis den Abschlusskundgebungsort erreichten, versuchten sie einen Angriffsversuch der Antifaschisten abzuwehren. Dabei formierten sie sich als Block, vorne die Neonazis mit Schilden, dahinter teilweise vermummt der motivierte Mob. In ihm liefen ebenfalls vereinzelt Zivilbeamte mit, ausgestattet mit Teleskopschlagstöcken. Das direkte Aufeinandertreffen verhinderten rund zehn Beamte u.a. durch den Einsatz von Schlagstöcken gegen Schilde. Unter ”Ha, Ha, Ha, Antifa”-Rufen zogen sich die Neonazis langsam zurück.

Ich wollte durch ihren Block, um zum antifaschistischen Angriff zu gelangen. Bei einer deutschen Demonstration wäre ich in einer ausweglosen Situation gewesen. Hier gab nur einen Ellenbogencheck, sonst nichts. Hinter dem Wall aus Schilden, tippte ich einem Neonazi auf die Schulter und fragte, ob ich raus kann. Er zog sein Schild zur Seite und ich ging. Dies macht den Umgang der schwedischen Neonazis mit der Presse deutlich.

Mehrere Anti-Antifa-Aktivsten liefen ebenfalls die Straße hoch bis zu den Antifaschisten. Mindestens einer kam mit blutender Stirn und Nase aus dem Rauch wieder zu seinen Kameraden zurück. Ansonsten wurden die Aktivisten der Neonazis nicht durch Polizeikräfte gestoppt. Auch die Antifaschisten reagierten an anderen Stellen auffallend gelassen auf Neonazis mit Camcorder.

Das Zeigen von NS-Symbolik stellt ebenfalls kein Problem dar © Sören Kohlhuber

Das Zeigen von NS-Symbolik stellt ebenfalls kein Problem dar © Sören Kohlhuber

Beim Abtransport der Neonazis zu einer U-Bahn-Station zeigte sich deren Einsatz mit Schilden. Auf einer Brücke trafen die Neonazis auf Antifaschisten. Letztere standen am Rand und pöbelten. Die Neonazis versuchten diese anzugreifen, woraufhin die Polizei einen kleinen Gang dicht machte. Mit ihren Schilden versuchten die Neonazis die Beamten abzudrängen, diese wehrten sich mit Schubsen, Schlagstock, Teleskopschlagstock und zwei bis drei Hunden. Anschließend liefen die Neonazis weiter zum Bahnhof, ein Teil konnte ausbrechen und jagte Antifaschisten, was die Polizei nicht interessierte, wobei die Neonazis mit den Schilden immer neben den Beamten liefen, um ein weiteres Eingreifen der Polizei gegen die neonazistischen Demonstranten zu verhindern. Selbst beim Einsteigen in die Bahn gingen die Schildträger als letztes durch die Tür und sicherten so die Bahnfahrer.

Antifaschistische Militanz – kurz und schmerzlos

Fliegende bengalische Fackeln aus den Reihen der Antifaschisten © Sören Kohlhuber

Fliegende bengalische Fackeln aus den Reihen der Antifaschisten © Sören Kohlhuber

Die Gegenmobilisierung zur neonazistischen Demonstration lief im Vorfeld recht breit. Von autonomen Antifaschisten bis hin zu zivilgesellschaftlichen Akteuren waren alle präsent. Die rund 3.000 Menschen, die sich schließlich versammelten, konnten zwar Akzente setzen, doch eine Blockade war aussichtslos. Die Stockholmer Polizei riegelte die Aufmarschstrecke mit einer ca. 1,20-1,50 Meter hohen Vergitterung komplett ab. Diese Absperrgitter können, anders als die in Deutschland eingesetzten, nicht erklommen werden, sondern bestehen aus Eisenplatten, an denen man sich nur unter Anstrengung hochziehen kann.

Zwei Tage vor dem Aufmarsch fielen in Stockholm ca. 40 cm Schnee, so viel wie seit 100 Jahren nicht. Aus diesem Grund kam es in Schweden zu dem Aufruf, die Neonazis mit Schneebällen zu bewerfen. Als sportlicher Anreiz folgte eine dubiose Punktetabelle. Eventuell war es auch dieser Aufruf, der die Polizei veranlasste, es bei einem Abstand von bis zu 40-50 Metern zu den Kontrahenten zu belassen.

Mit Beginn des Neonazimarsches entflammte der erste Bengalo bei den Antifaschisten, und es kam zum ersten Heckmeck zwischen ihnen und der Pferdestaffel. Einzelne Böller und ein Rauchutensil wurde gezündet.

Nachdem die Neonazis ihren Abschlusskundgebungsort erreichten, versuchten Antifaschisten durch eine kleine Gasse an die Neonazis heranzukommen. Dabei kamen sie allerdings nur bis zu den Absperrgittern. Von dort aus warfen sie mehr als ein Dutzend rote bengalische Fackeln, die auf dem Eis die Gasse entlang rutschten. Gleichzeitig wurden Schneebälle, Böller und Rauchbomben aus polnischen Militärbeständen geworfen, um die Einsatzkräfte auf Abstand zu halten.

Diese räumten den Platz mit Hilfe der Pferdestaffel und dem ersten massiven Einsatz von Zivilkräften. So verlagerten sich die Auseinandersetzungen auf eine weitere Zufahrtsstraße zu den Neonazis. Dort wurden die Polizeipferde mit Böllern und Schnee beworfen und scheuten auf. Geräumt wurde der Platz trotz Widerstandes mit Wurfgeschossen durch zwei nebeneinander fahrenden Einsatzfahrzeugen, deren laute Sirenen auch akustisch als Waffe eingesetzt wurden, sowie zehn uniformierten Beamten, die immer wieder mit Schlagstöcken auf die ersten Reihen einprügelten.

Viele der Antifaschisten waren durchgehend vermummt und schlugen teilweise auf Beamte oder Pferde ein, ohne dass dies eine Wirkung erzielte. Etliche wurden in beiden Situationen festgenommen, vor allem durch Beamte in Zivil.

Anschließend wurde es ruhig bei den Gegenprotesten. Nur noch wenige Dutzend protestierten akustisch. Im Nachgang gab es besonders aus dem bürgerlichen Lager der Antifaschisten Kritik an den Schneebällen und der Militanz. Kollegen erklärten, dass es ähnliche Debatten wie in Deutschland gibt, wie sich Neonazis zu widersetzen sei. Dazu kommt eine immer größer werdende Beteiligung von bürgerlichen Kräften, die dafür sorgen, dass, wie in Deutschland, militante Antifaschisten inzwischen eine teils nicht gern gesehene Minderheit im Protestzirkel darstellen.

Dennoch zeigt die kurze Erruption der Antifaschisten, die Unmengen an Pyrotechnik, wie stark Autonome in Schweden noch auftreten können. Anders als in Deutschland ist die Hemmschwelle für Gewalt niedriger. Dies kann man auch bei Dokumentationen über die „Revolutionäre Front“ sehen, in denen diese offen ihre Waffenaffinität zeigt, bzw. die Notwendigkeit zum Waffengebrauch erklären. Besonders in den Außenbezirken von Stockholm kommt es regelmäßig zu bewaffneten Übergriffen durch Neonazis. Am Tag vor der Demonstration wurde ein Sprengstoffanschlag durch Rechte gegen eine linke Lokalität in Göteborg vermeldet.

Dennoch gingen die Antifaschisten mit einem positiven Fazit aus dem Tag. Laut schwedischen Verlautbarungen konnten sie einzelne Neonazis sowie kleinere Gruppen gezielt und erfolgreich angreifen.

Hooligans ohne Uniform – die schwedische Polizei

Personenverhältnis Polizei vs. Neonazis wird in diesem Bild deutlich ©Sören Kohlhuber

Personenverhältnis Polizei vs. Neonazis wird in diesem Bild deutlich ©Sören Kohlhuber

Es ist offensichtlich, dass es in Schweden ein völlig anderes Konzept der Aufstandsbewältigung gibt als dies in Deutschland der Fall ist. Grundsätzlich hat jedes Land seine eigene Taktik. In manchen Ländern schießen die Staatsdiener mit Gummischrot oder Tränengas um sich, als gäbe es kein Morgen, in anderen Ländern versucht man das halbe Mittelmeer via Wasserwerfer leer zupumpen.

Seit den Protesten gegen den G8-Gipfel in Göteborg 2001 gab es keine vergleichbaren Proteste mehr. Damals verfügte das liberale Schweden über kein Tränengas, keine Gummigeschosse, und der einsame Wasserwerfer, den man in den 1950er Jahren angeschafft hatte, stand seit den 1970er Jahren im Museum. Stattdessen schoss ein Beamter damals wild in die Menge und verletzte drei Personen. Die 2.500 eingesetzten Polizisten hatten keine Chance und auch keinen Plan bei der Aufstandsbewältigung, als Autonome aus ganz Europa sich unter die 50.000 Demonstranten mischten.

Noch immer kommen die Polizeikräfte ohne schwere Geräte aus. Seit dem Göteborg-Desaster haben sie sich allerdings dennoch in Europa umgeschaut und so beispielsweise eine Praxis aus Dänemark übernommen. Dabei werden kaum Beamten in Uniform mit ihren neonfarbenen „Polis“-Leibchen eingesetzt. Beim Aufmarsch von Stockholm waren nur maximal 200 sichtbar, direkt am Aufmarsch liefen keine zehn mit. Dazu kamen noch 2-3 „Dialog-Polis“-Beamte, also das schwedische Pendant zum deutschen „Kommunikationsteam“ oder „Anti-Konflikt-Team“.

Nach kurzer Auseinandersetzung wurden zwei Neonazis zu Boden gebracht © Fabian Schumann

Nach kurzer Auseinandersetzung wurden zwei Neonazis zu Boden gebracht © Fabian Schumann

Die Bereitschaftsbeamten in Schweden sind mit kleinen Pfeffersprays, einem kleinen Knüppel und Teleskopschlagstöcken ausgestattet. Zusätzlich können sie Rundschilde als Schutz verwenden, darauf verzichteten sie beim Einsatz in Stockholm. Ihre „Körperschutzausstattung“ (KSA) ist aus meiner Sicht unzureichend. In Deutschland werden besonders im Kopfbereich Schutzmaßnahmen eingesetzt, z.B. ein Kinnschutz, um Stoßbewegungen mit kleinen Fahnenstöcken abzuwehren; der Helm geht im Nacken weiter, um auch diesen besonders gegen Wurfgeschosse zu schützen. Daraufwird in Schweden verzichtet, im Nacken befindet sich meist nur ein wenig Leder. Auch die übrige Bepanzerung ist nicht vergleichbar mit dem KSA, die in Deutschland geführt wird.

Anders als beispielsweise die Beweis- und Festnahmeneinheiten (BFE), bzw. allgemein die Bereitschaftspolizei, scheint es in Schweden nicht die Aufgabe der „Kravallpolis“ zu sein, Festnahmen zu tätigen. Einheiten, wie die deutsche „Beweis- und Dokumentation“ (BeDo), sah ich nirgends.

Für Festnahmen waren hauptsächlich Zivilbeamte zuständig © Sören Kohlhuber

Für Festnahmen waren hauptsächlich Zivilbeamte zuständig © Sören Kohlhuber

Die Aufgaben der BeDo und BFE übernehmen seit einigen Jahren dafür andere. Beamte in Zivil tauchen immer wieder in Gruppenstärken von fünf bis zehn Beamte auf. Während diese in Deutschland eher zur Observation, präventiven Repression oder Gefahreneinschätzung eingesetzt werden, haben sie in Schweden eine gezielte praktische Aufgabe. Sie sollen sich unter die Aufständigen begeben, und dann aus dem nichts heraus zuschlagen. Dazu sind sie mit einem Teleskopschlagstock ausgestattet. Motiviert ziehen die Gruppen wie Raubtiere umher und holen sich so eine Person nach der anderen. Ähnliches Verhalten kann man bei Großlagen erkennen, wenn die Zugriffe der Berliner Polizei im Minutentakt durchgeführt werden.

Die Taktik der zivilen BFE folgt dem Vorbild Dänemark. Der Grund ist ein psychologischer. Man geht davon aus, dass wenn nicht uniformierte Personen zuschlagen und Gewahrsamnahmen vornehmen, kein Solidaritätseffekt eintritt, anders als beim Angriff von uniformierten Staatsdienern. In Deutschland entwickelte man aus diesem Grund die BFE, damit man nicht mehr mit Kanonen auf Spatzen schießt und sich dann wundert, warum die Straße sich erhebt. Auch in anderen europäischen Ländern wie den Niederlanden oder Frankreich sind besonders die Zivilkräfte für gezielte und gewaltätige Zugriffe bekannt.

Dieser Einsatz der Zivilkräfte ist der wohl stärkste Unterschied zu den Polizeitaktiken in Deutschland, die sich bereits ebenfalls von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.

Mehr freie Presse gibt’s nicht

Journalisten erkannte man an den neonfarbenden Leibchen © Sören Kohlhuber

Journalisten erkannte man an den neonfarbenden Leibchen © Sören Kohlhuber

Das Prinzip des Umgangs mit der Presse durch Polizeikräfte und Neonazis ist mehr als irritierend. Zu Beginn wollte man Journalisten nicht in den abgesperrten Bereich der Neonazis lassen. Grund dafür war nicht das Fehlen eines Presseausweises – dieser wurde nicht einmal geprüft. Jeder Journalist sollte schlicht ein neongelbes Leibchen tragen. Aus diesem Grund kauften sich einige Journalisten diese Leibchen im nahegelegenen „XXL Sports“, schmierten schnell „Presse“ auf Brust und Rücken und konnten den Eingangsbereich, nach einer Musterung durch den obersten Pressesprecher, betreten.

Ansonsten gab es kaum Kontakte zwischen Polizei und Journalisten, es sei denn, man trug die Weste nicht, dann war man für die Beamten ein ganz normaler Demonstrant oder Bürger.

Pressevertreter sollen neongelbe Westen tragen - das gilt auch für Neonazis © Sören Kohlhuber

Pressevertreter sollen neongelbe Westen tragen – das gilt auch für Neonazis © Sören Kohlhuber

Auch die Neonazis nahmen kaum Notiz von den anwesenden Journalisten. Teilweise konnten diese Interviews mit verschiedenen Führungskräften führen, ohne die inzwischen in Deutschland bekannten Pöbeleien. Gerade Recherchejournalisten, die den Neonazis bekannt waren, hätten bei dem geringen Aufgebot an Polizeikräften in Deutschland Probleme bekommen können. Stattdessen gab es nur einen kurzen Spruch („Du kommst auf Nordfront“ – vermutlich die Androhung eines Outing) eines vermummten Neonazis gegenüber einem ihm bekannten Journalisten. Gleichzeitig fotografierten sich beide aus nicht mal 2 Meter Entfernung gegenseitig.

Unter den Neonazis trugen mehrere Personen eine neonfarbende Weste – dort mit dem Aufdruck „Nordfront Medi“. Der Rest der Neonazis konnte sich frei und ohne farbliche Kennung bewegen.

Fazit

Betrachtet man die Freiheiten der Demonstrierenden und die geringe Aufrüstung der Polizeikräfte im Verhältnis zu Deutschen Ereignissen, ist es verwunderlich, dass nicht mehr passierte. Deutsche Neonazis hätten an der Brücke zum Ende des Aufmarsches mehr aus der Situation gemacht. Passive Bewaffnung bis hin zum Schild bei Demonstranten und dann viel zu wenig Beamte. Gleichzeitig ist es verwunderlich, dass die militanten Antifaschisten nicht ebenfalls auf diese Art aufrüsten.

Besonders interessant ist allerdings, dass die Polizeikräfte trotz ihrer geringen Anzahl und ohne schweres Gerät oder massiver Gewalteinwirkung die Situationen weitesgehend im Griff hatten. Kein Aufmarsch mit einem solchen Gewaltpotential hätte in Deutschland so wenig Beamte als Begleitung, und obwohl in Deutschland deutlich mehr und besser ausgestattete Beamte aktiv sind, sind diese auch deutlich brutaler am Werk. Es wird vermutlich nicht mein letzter Besuch in Schweden gewesen sein.

Fotos vom Neonaziaufmarsch in Stockholm:
Fabian Schumann
Sören Kohlhuber

2 Antworten zu “Neonaziaufmarsch in Stockholm, Versuch eines Vergleichs mit Deutschland

  1. „[…]aber auch mit kleinen Holzschildern, auf denen der Pfeil der nordischen Neonazis abgebildet war.“

    Der „Pfeil“ ist sicherlich eine Tyr-Rune.

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    • Habe ich auch überlegt, wollte mich da aber nicht festlegen, da z.B. die JN ebenfalls einen Pfeil (schräg nach oben) nutzt und es da für mich eindeutig keine Tyr-Rune ist. Daher habe ich es erstmal neutral als „Pfeil“ beschrieben 😉

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